Zivilehe
Die Zivilehe ist die in den meisten Ländern als Rechtsinstitut des Zivilrechts ausgestaltete Form der Ehe. Sie ist Gegenstand des Eherechts.
„Zivil“ bezeichnet in diesem Zusammenhang die Abgrenzung der staatlich geregelten Ehe von der religiösen, durch Glaubensgemeinschaften vermittelten Ehe (z. B. der kirchlichen Trauung oder der islamischen Ehe). Die Voraussetzungen dafür, die Zivilehe eingehen zu können, und ihre Rechtswirkungen im Einzelnen unterscheiden sich je nach Rechtsordnung. Gleichgeschlechtlichen Paaren steht seit Beginn des 21. Jahrhunderts in vielen westlichen Ländern die Zivilehe offen.
Inhaltsverzeichnis
1 Deutschland
1.1 Geschichte
1.2 Rechtslage
1.2.1 Anmeldung
1.2.2 Staatlicher Schutz der Ehe
2 Österreich
3 Schweiz
4 Weitere Staaten mit obligatorischer Zivilehe
4.1 Frankreich
4.2 Belgien
4.3 Niederlande
5 Obligatorische religiöse Eheschließung
6 Fakultative Zivilehe
7 Literatur
8 Weblinks
9 Einzelnachweise
Deutschland |
Geschichte |
In Deutschland wurde während der Franzosenzeit in von Frankreich besetzten bzw. annektierten Gebieten der Code civil eingeführt, ebenso in den sogenannten napoleonischen Satellitenstaaten des Rheinbundes (zum Beispiel 1810 im Großherzogtum Berg).
In den vier rheinischen Departements wurde sie fakultativ 1795 eingeführt; am 1. Mai 1798 obligatorisch.[1]
Im Zuge der allgemeinen Restauration mit Beginn der preußischen Zeit 1815 wurde die Zivilehe allmählich wieder abgeschafft, wobei der preußische Staat – etwa im Erzbistum Köln – zunächst kompromissbereit gegenüber dem amtierenden konservativen Episkopat agierte. Aufgrund der föderalen Struktur des Deutschen Bundes gab es in der Folge bis zur Reichsgründung regional unterschiedliche Annäherungen an die Wiedereinführung der Zivilehe.
Vorreiter waren die Freie Hansestadt Bremen und das Großherzogtum Oldenburg, wo auf Initiativen des Baptisten Frerich Bohlken bereits am 31. Mai 1855 ein „Gesetz über die Zivilehe für das Land Oldenburg“ verkündet wurde. Die erste zivilrechtliche Trauung auf dieser gesetzlichen Grundlage fand am 12. Juli 1855 in der Stadt Varel statt; damals heirateten der Baptistenpastor August Friedrich Wilhelm Haese und Metta Schütte.[2] Es war für Angehörige von Freikirchen und andere Dissidenten wie Freireligiöse bis dahin nicht möglich, die Ehe einzugehen. Das Recht, legale Eheschließungen durchzuführen, lag bis zum Erlass des genannten Gesetzes allein bei der jeweiligen Staatskirche. Diese wiederum verweigerte solchen, die aus der Staatskirche ausgetreten waren, die Trauung. Preußen führte am 9. März 1874[3] die obligatorische Zivilehe mit einem vom Landtag am 23. Januar 1874 verabschiedeten Gesetz ein.[4]
Im Deutschen Reich wurde die Zivilehe im Zuge des Kulturkampfs 1875 durch das Gesetz über die Eheschließung nach preußischem Vorbild geregelt (siehe auch Kaiserparagraph).
Rechtslage |
In Deutschland gilt heute die sogenannte obligatorische Zivilehe (§ 1310 BGB, Art. 13 Abs. 3 EGBGB). Damit ist gemeint, dass staatliche Instanzen nur diejenigen als Eheleute betrachten, die entsprechend den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches („standesamtlich“) geheiratet haben. Im Jahr 2011 wurden in Deutschland 377.831 Ehen geschlossen.[5]
Bis Ende 2008 durfte eine kirchliche Trauung in Deutschland erst nach der Eheschließung stattfinden (Verbot der religiösen Voraustrauung). Mit dem seit 1. Januar 2009 gültigen Personenstandsrechtsreformgesetz ist dieses Verbot aufgehoben, die kirchliche Trauung hat nun überhaupt keine zivilrechtliche Relevanz mehr und ist darum auch nicht mehr staatlichen Beschränkungen unterworfen.[6] Die evangelische Kirche hat die kirchliche Eheschließung ohne vorherige standesamtliche Eheschließung untersagt; in der katholischen Kirche ist sie in Ausnahmefällen möglich.
Anmeldung |
Die beabsichtigte Eheschließung ist nach § 2, § 3 und § 12 des Personenstandsgesetzes[7] beim Standesamt anzumelden. Dabei sind zumindest Geburtsurkunden (bzw. eine beglaubigte Abschrift aus dem Geburtenregister) und eine Familienstandsbescheinigung vorzulegen.[8] Im Einzelfall, etwa bei Ausländern oder schon einmal Verheirateten, sind weitere Urkunden erforderlich.[9] Diese Urkunden sind im Regelfall schriftlich bei den zuständigen Standesämtern zu beantragen. Einen Aushang des standesamtlichen Aufgebotes gibt es seit der Aufhebung des Ehegesetzes am 1. Juli 1998 nicht mehr.
Staatlicher Schutz der Ehe |
Artikel 6 des Grundgesetzes setzt in seinem Satz Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung die Zivilehe voraus und schützt grundsätzlich nur diese. (siehe auch Schutz von Ehe und Familie)
Österreich |
In Österreich (genauer Cisleithanien) wurde die Zivilehe mit den Maigesetzen 1868 als „Notzivilehe“ eingeführt, wenn ein konfessionelles, aber kein staatliches Ehehindernis bestand.[10] Sie wurde dann erweitert, bis nach dem Anschluss 1938 die obligatorische Zivilehe eingeführt wurde (§ 15 EheG). Die wurde nach Kriegsende beibehalten.
Schweiz |
In der Schweiz wurde 1874 im Zuge des Kulturkampfes in der Schweiz vorgeschrieben, dass man erst zivil heiraten muss, bevor man kirchlich heiraten kann (Voraustrauungsverbot, Art. 97 Abs. 3 ZGB).
Weitere Staaten mit obligatorischer Zivilehe |
Weitere Staaten mit obligatorischer Zivilehe sind neben Frankreich, den Benelux-Staaten und Liechtenstein auch zahlreiche Länder im Bereich des ehemaligen sozialistischen Rechtskreises (Russland: Art. 10 FamGB; China: Art. 8 EheG), ebenso die Türkei.
Frankreich |
Gesetzliche Regeln zur Zivilehe enthält der Code civil (Livre 1er, Titre V). Man muss zivil heiraten, bevor man religiös heiraten kann.[11]
Belgien |
Die Artikel 63 bis 76 des belgischen Code civil. Artikel 21 der belgischen Verfassung schreibt vor, dass die Zivilehe vor einer religiösen Heirat erfolgen muss.
Niederlande |
In den Niederlanden gibt es die Zivilehe[12] seit 1850.
Obligatorische religiöse Eheschließung |
Der einzige Staat Europas mit obligatorischer Klerikalehe ist der Vatikanstaat. Im Übrigen ist die religiöse Eheschließung in vielen islamisch geprägten Staaten sowie in Israel obligatorisch. In Letztgenanntem kann deshalb auch nur das Rabbinatsgericht eine (jüdisch geschlossene) Ehe scheiden,[13] das den Scheidebrief (Get)[14] archiviert.[15]
Fakultative Zivilehe |
Zahlreiche Staaten lassen die Wahl zwischen ziviler und religiöser Form. Das sind insbesondere Länder des anglo-amerikanischen und des nordischen Rechtskreises sowie katholisch geprägte Länder wie Italien (Art. 82 ff. ZGB), Spanien (Art. 49 ZGB), Polen (Art. 1 FVGB) usw., aber auch im orthodox geprägten Griechenland (Art. 1367 ZGB, seit 1982). Meist sind die religiösen Formen mehrerer (anerkannter) Religionsgemeinschaften zugelassen; manche Länder erlauben neben der zivilen allerdings nur die katholische Form, z. B. Portugal (Art. 1587 ZGB).
Literatur |
- Inken Fuhrmann: Die Diskussion über die Einführung der fakultativen Zivilehe in Deutschland und Österreich seit Mitte des 19. Jahrhunderts. (= Rechtshistorische Reihe. Band 177.) Frankfurt am Main 1998.
- Joseph Overath: Zur Einführung der Zivilehe im „Kulturkampf“. In: Joseph Overath: Kirchengeschichte. Orientierungshilfen, Standpunkte, Impulse für heute. Frankfurt am Main 1987, S. 165–182.
- Werner Schubert: Preußen und die Zivilehe in der Nachmärzzeit. In: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung. 117, 1987, S. 216–246.
- Daniel Tibi: „Erst nur flüchtig und zivil, dann mit Andacht und Gefühl.“ Die Pflichtzivilehe in Deutschland.
Weblinks |
- Personenstandsgesetz zur Eheschließung
Einzelnachweise |
↑ Andreas Becker: Napoleonische Elitenpolitik im Rheinland: die protestantische Geistlichkeit im Roerdepartement 1802–1814 (= Rheinisches Archiv, Band 156). Böhlau Verlag, Köln 2011, ISBN 978-3-412-20655-0,
S. 51 ff.
↑ Varel-Lexikon: Johann Gerhard Oncken bahnte Zivilehe den Weg. In: Nordwest-Zeitung online. 5. Juni 2010, abgerufen am 16. Dezember 2017.
↑ Michael Sachs: ‘Fürstbischof und Vagabund’. Geschichte einer Freundschaft zwischen dem Fürstbischof von Breslau Heinrich Förster (1799–1881) und dem Schriftsteller und Schauspieler Karl von Holtei (1798–1880). Nach dem Originalmanuskript Holteis textkritisch herausgegeben. In: Medizinhistorische Mitteilungen. Zeitschrift für Wissenschaftsgeschichte und Fachprosaforschung. Band 35, 2016 (2018), S. 223–291, hier: S. 278.
↑ Kalenderblatt 2006: 23. Januar. Rhein-Zeitung, 23. Januar 2006.
↑ Trauungen in Deutschland – Daten und Fakten. (Memento vom 11. März 2014 im Internet Archive) Abgerufen am 26. März 2013.
↑ Heiraten bald ohne Standesamt erlaubt. auf: spiegel.de, 3. Juli 2008.
↑ Nach Inkrafttreten des Personenstandsrechtsreformgesetzes von 2007 am 1. Januar 2009 werden die Familien- und Heiratsbücher etc. durch elektronische Personenstandsregister ersetzt.
↑ Für Adoptierte vgl. Personenstandsurkunde.
↑ vgl. beispielsweise die Vorgaben des Standesamtes Bad Homburg. Website der Stadt Bad Homburg, abgerufen am 16. Dezember 2017.
↑ Reichs-Gesetz-Blatt für das Kaiserthum Oesterreich, Jahrgang 1868, 19. Stück: RGBl. 47/1868, S. 93.
↑ Artikel 433-214 des 'code pénal' (Strafgesetzbuch) droht demjenigen mit Geldstrafen von bis zu 7.500 Euro oder bis zu sechs Monaten Gefängnis, der im Rahmen einer religiösen Zeremonie ein Paar verheiratet
↑ Artikel 149 Burgerlijk Wetboek Boek 1
↑ Gil Yaron: Scheidungsrecht: Warum im modernen Israel Frauen „angekettet“ werden Die Welt, 11. April 2016
↑ Hanno Hauenstein: „Get – Der Prozess der Viviane Amsalem“: Kein Freibrief für die Frau Die Zeit, 17. Januar 2015
↑ Ausnahme: Civil Union Law for Citizens with no Religious Affiliation, 2010
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