Moulage






Wachsmoulage einer Gumma bei Syphilis, um 1926, Moulagensammlung des Museums der Universität Tübingen MUT[1]


Moulagen sind farbige dreidimensionale und lebensgroße Abformungen von Körperteilen zur naturnahen Wiedergabe menschlicher Krankheitsbilder.[2][3] Das Wort stammt von französisch mouler (,formen‘, ‚abformen‘) bzw. moule (‚Gussform‘) und über altfranzösisch modle von lateinisch modulus und ist verwandt mit deutsch Model.


Bis in die 1950er Jahre wurden in der Medizin, insbesondere in der Dermatologie und Venerologie, zu Lehrzwecken und zur Krankheitsdokumentation krankhafte Befunde plastisch nachgebildet. Erste Moulagen wurden bereits in der Mitte des 19. Jahrhunderts hergestellt. Seit dem ersten Internationalen Kongress für Haut- und Geschlechtskrankheiten 1889 im Musée des Moulages am Hôpital St. Louis in Paris galten Moulagen als die idealen Lehrmittel im dermatologischen universitären Unterricht.


Hierzu wurden Abdrücke, beispielsweise aus Gips, später auch aus Silikon, genommen und mit einem Wachs- oder Wachs-Harz-Gemisch ausgegossen. Die Rohmodelle wurden dann nach dem Aushärten aus der Abdruckform entnommen und direkt beim Patienten bemalt. Auf diese Weise sind bis heute Moulagen bzw. Bilder von diesen erhalten, die bildlich einem Originalbefund fast gleichkommen.


Moulagen wurden nicht nur als Hilfsmittel in der Vorlesung eingesetzt. Sie waren Vorlagen für qualitativ hervorragende und dennoch kostengünstige Farbdrucke (Citochromie-Technik) in Atlanten und Lehrbüchern, aber auch in wissenschaftlichen Publikationen. Zur Aufklärung und Abschreckung wurden Moulagen von Geschlechtskrankheiten in der Öffentlichkeit gezeigt.


Nachdem die dreidimensionalen lebensgroßen Wachsobjekte in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts durch die Farbfotografie fast in Vergessenheit geraten sind, wurden sie in den letzten Jahren wiederentdeckt. Heute werden sie als wertvolle medizinhistorische Dokumente geschätzt, die teilweise Krankheiten zeigen, die es heute in dieser Form kaum oder nicht mehr gibt (z. B. Spätformen der Syphilis, Hauttuberkulose, Pocken). Gut erhaltene Sammlungen haben auch wieder eine Bedeutung in der Lehre gewonnen und werden von Studierenden der Medizin zur Vorbereitung des Staatsexamens genutzt. In der Dermatologischen Klinik des Universitätsspitals Zürich findet seit einigen Jahren auch der Einführungskurs in das Spezialfach der Haut- und Geschlechtskrankheiten im Moulagenmuseum statt.



Bedeutende Moulagensammlungen |


Bedeutende Moulagensammlungen gab oder gibt es insbesondere in (alphabetische Liste):








































































































































Ort Institut Zusammenstellung Zahl und Art der Moulagen Anmerkungen
Athen Andreas-Syngros-Hospital ab 1912 (unter Georgios Fotinos) 1660: Haut- und Geschlechtskrankheiten nach Vorbild des Pariser Hôpital Saint-Louis[4]
Berlin
Berliner Medizinhistorisches Museum der Charité
ab ca. 1900? 257 (u. a. Augenmoulagen des Berliner Mouleurs Fritz Kolbow aus der Sammlung Greeff) z. T. (seit 2007) ausgestellt in der Dauerausstellung „Dem Leben auf der Spur“[5]
Breslau Dermatologische Universitätsklinik in Breslau
ab 1890 (unter Neisser) einst 2700, heute 313 (insbesondere Tuberkulose), sowie acht Exemplare vom Castans Panoptikum
angeregt durch die Pariser Moulagen von Jules Baretta; gab als wichtiges deutschsprachiges Hautzentrum den Anstoß für viele andere deutschsprachige Sammlungen; in Kiel sind heute mehr „Breslauer“ Moulagen (von Alfons Kröner) als in Breslau[6]
Dresden
Krankenhaus Dresden-Friedrichstadt (und Deutsches Hygiene-Museum): „Friedrichstädter Moulagensammlung“
ab 1903 (unter Johannes Werther) einst 368, heute 60 relativ schlechter Erhaltungszustand; 18 befinden sich heute in der Sammlung des Hygiene-Museums, und einige besser erhaltene Exponate werden dort ausgestellt[7]
Dresden Deutsches Hygiene-Museum ca. 2000 großenteils über Internet einsehbar (www.dhmd.de/neu)[8]
Erlangen Erlanger Hautklinik der Universität Erlangen
1923–1945 (unter Leo Hauck) 136 Die Moulagensammlung in Erlangen wurde von Leonhard Hauck aufgebaut, der 1906 an Oberarzt der neuen Abteilung für Hautkrankheiten an der Medizinischen Klinik Erlangens wurde.[9]
Freiburg im Breisgau Universitätsklinik und Museum („Uniseum“) der Universität Freiburg: „Freiburger Moulagensammlung“ 1899 (unter Eduard Jacobi, später Georg Alexander Rost und Alfred Stühmer) – 1957 einst 1200, heute 822 (vor allem Geschlechtskrankheiten wie Syphilis) Jacobi war zwei Jahre in Breslau Volontär unter Neissen (siehe Kiel), bevor er 1899 erster Direktor in Freiburg wurde; gab später auch als Lehrbuch bekannte „Atlanten der Hautkrankheiten“ (Auflagen von 1903 bis 1942, auch in Übersetzungen) mit Moulagen insbesondere von Alfons Kröner heraus

heute ca. 100 Moulagen im Seminarraum der Klinik, 32 im Uniseum, Rest im Keller des Hörsals eingelagert[10]


Göttingen urspr. Göttinger Hautklinik, seit 1993 Abteilung Ethik und Geschichte der Medizin der Universität Göttingen
Hautkrankheiten, mit Schwerpunkt Geschlechtskrankheiten im Herbst 2007 erstmals öffentlich im Städtischen Museum Göttingen ausgestellt[11]
Hamburg Medizinhistorisches Museum am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf Die Sammlung setzt sich im Wesentlichen aus zwei Teilen zusammen. Einerseits besteht sie aus Moulagen, welche ursprünglich dem AK St. Georg in Hamburg gehörten und die auf eine Sammlung des Dermatologen Oscar Lassar zurückgehen. Andererseits wird sie gebildet durch die Moulagensammlung des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf selbst, welche der Dermatologe Paul Mulzer (1880–1947) anlegte. Es handelt sich um 598 Moulagen unterschiedlicher Herstellungszeiten und Provenienzen. Auf der Website des Medizinhistorischen Museums ist eine der zur Sammlung gehörenden Moulagen abgebildet, die Tuberkulide zeigt.
Kiel Universitäts-Hautklinik Kiel ab 1906 (unter Viktor Klingmüller) 455 (Hautkrankheiten, insbesondere Geschlechtskrankheiten) der in Breslau ausgebildete Klingmüller brachte bereits 1906 den Grundstock der Sammlung mit; dank seiner anhaltenden Sammeltätigkeit heute 354 aus Breslau stammende Moulagen[6]
Madrid Krankenhaus San Juan de Dios ab 1870 (bis vor 1966) ca. 850 (v. a. Hautkrankheiten) farbiger Katalog von 2006[12]
Mannheim Panoptikum Mannheim um 1890 ca. 80–90 teilweise aus der Werkstatt von Louis und Gustav Castan, besonders sind die 4 Ganzkörpermoulagen welche unter anderem schwangere Frauen und Kaiserschnitte darstellen.
Paris Hôpital St. Louis ab 1865 (Moulageur Pierre Jules Francois Baretta, 1834–1923) – 1950er heute über 4000 (weltweit größte und bedeutendste Sammlung, davon bis zu 2000 von Baretta; Hautkrankheiten, Chirurgie und Gynäkologie) Paris war bedeutender Anstoß für viele europäische Sammlungen und die Technik der Moulagenherstellung; Sammlung seit 1885 im Versammlungsraum des Hospitals ausgestellt[6]
Rostock Rostocker Hautklinik ab 1902 bis 1942 ca. 3000, von denen 122 erhalten sind. 34 Moulagen wurden in Rostock hergestellt, die übrigen im Dresdner Hygiene-Museum. 1902 wurde Universitätshautklinik in Rostock gegründet und der neu eingerichtete Lehrstuhl für Dermatologie mit Maximilian Wolters besetzt. Wolters legte den Grundstein für die Rostocker Moulagensammlung, die 1942 fast vollständig zerstört wurde.[13]

Temple (Texas)
Scott & White Memorial Hospital 1934–1955 (unter Ken und Margeret Philips) einst über 3000, heute 1200–1300 (v. a. pathologisch-chirurgisch) ausgestellt in der Abteilung für anatomische Pathologie; Besichtigung nach Anmeldung[14]
Tübingen
Universitäts-Hautklinik Tübingen und Museum der Universität Tübingen MUT
die Sammlung "WachsKörper" setzt sich aus zwei Teilen zusammen: Moulagen wurden seit Mitte des 19. Jh. von der Hautklinik, seit Beginn des 20. Jh. von der Tropenklinik Paul-Lechler-Krankenhaus des Deutschen Instituts für Ärztliche Mission (Difäm) erworben insgesamt knapp 300 Moulagen, zwei Drittel aus dermatologischen und ein Drittel aus tropenmedizinischen Beständen äußerst seltene Tropenkrankheiten mit aktuell ausgestorbenen Erkrankungsstadien; umfangreicher dermatologischer Fundus; Sammlung wird durch ein Ausstellungs-Praxis-Seminar des Museums der Universität Tübingen MUT im Wintersemester 2015/16 inventarisiert und wissenschaftlich erschlossen, ab Juni 2016 Ausstellung "Krankheit als Kunst(form): Moulagen der Medizin" im Museum von Schloss Höhentübingen[15]
Wien
Pathologisch-anatomisches Bundesmuseum des Naturhistorischen Museums Wien im Narrenturm
Objekte unter anderem von Carl Henning[16][6]
Zürich Moulagenmuseum ab 1918 (unter Bruno Bloch) – 1948 1800 wurden hergestellt und sind erhalten (auch Menschen- und Tierversuche darstellend, z. B. Folgen der Röntgentherapie); heute 1200 Hautkrankheiten und 600 chirurgische besteht fast vollständig aus lokal gefertigten Moulagen; generell in sehr gutem Zustand; 600 im Museum ausgestellt[17]


Weblinks |



 Commons: Moulage – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien


 Wiktionary: Moulage – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen


  • Archiv für medizinische Wachsbilder

  • Moulagenmuseum der Universität Zürich

  • Moulagensammlung der Universitätshautklinik Kiel

  • Berliner Medizinhistorisches Museum Berlin


  • Atlas der Hautkrankheiten (E. Jacobi, 5. Auflage 1913) mit Fotos von Moulagen


  • Nachschub aus Übersee, Ausführungen über die Moulagensammlung der Uniklinik Hamburg-Eppendorf bei Monumente Online


  • Universitätssammlungen in Deutschland mit Moulagen (Datenbank Universitätsmuseen und -sammlungen in Deutschland)



Einzelnachweise |




  1. Wachsmoulage aus der Sammlung "WachsKörper" des Museums der Universität Tübingen MUT der Eberhard Karls Universität Tübingen


  2. Benedikt Ignatzek: Aus der Geschichte der Dermatologie. In: Würzburger medizinhistorische Mitteilungen. Band 23, 2004, S. 524–527; hier: S. 526.


  3. Thomas Schnalke: Moulagen. In: Werner E. Gerabek, Bernhard D. Haage, Gundolf Keil, Wolfgang Wegner (Hrsg.): Enzyklopädie Medizingeschichte. De Gruyter, Berlin/New York 2005, ISBN 3-11-015714-4, S. 1012 f.


  4. Die Moulagensammlung des Andreas-Sygros-Hospitals in Athen auf den Seiten des Archivs für medizinische Wachsbilder (Moulagen) der Charité (abgerufen 21. November 2010)


  5. Die Moulagensammlung des Berliner Medizinhistorischen Museums der Charité auf den Seiten des Archivs für medizinische Wachsbilder (Moulagen) der Charité (abgerufen 21. November 2010)


  6. abcd Moulagensammlung: Moulagen von Alfons Kröner auf den Seiten der Universitäts-Hautklinik Kiel


  7. Die Moulagensammlung des Krankenhauses Friedrichstadt in Dresden auf den Seiten des Archivs für medizinische Wachsbilder (Moulagen) der Charité (abgerufen 21. November 2010)


  8. Die Moulagensammlung des Deutschen Hygienemuseums in Dresden auf den Seiten des Archivs für medizinische Wachsbilder (Moulagen) der Charité (abgerufen 21. November 2010)


  9. Die Moulagensammlung der Universitätshautklinik Erlangen auf den Seiten des Archivs für medizinische Wachsbilder (Moulagen) der Charité (abgerufen 21. November 2010), Hornstein, Otto P.: Chronik der dermatologischen Universitätsklinik Erlangen. Ein "Provisorium" begeht sein 70-jähriges Bestehen, Erlangen, 1993


  10. Die Moulagensammlung der Universitätshautklinik Freiburg auf den Seiten des Archivs für medizinische Wachsbilder (Moulagen) der Charité (abgerufen 21. November 2010)


  11. Die Moulagensammlung der Abteilung Ethik und Geschichte der Medizin der Universität Göttingen auf den Seiten des Archivs für medizinische Wachsbilder (Moulagen) der Charité (abgerufen 21. November 2010)


  12. Die Moulagensammlung des Museum Olavide in Madrid/Spanien auf den Seiten des Archivs für medizinische Wachsbilder (Moulagen) der Charité (abgerufen 21. November 2010)


  13. Heise, Helmut; Schlecht, K.; Zimmermann, R.: Die Rostocker Moulagen-Sammlung, in: Der Hautarzt, Band 53 (2002), S. 347–351


  14. Die Moulagensammlung des Scott & White Memorial Hospital in Temple/USA, Texas auf den Seiten des Archivs für medizinische Wachsbilder (Moulagen) der Charité (abgerufen 21. November 2010)


  15. Strölin, Anke: WachsKörper. Moulagensammlung, in: Seidl, Ernst (Hg.): Sammlungen. Museum der Universität Tübingen MUT, S. 63, 4. erweiterte und ergänzte Auflage (2015)


  16. Felix Czeike (Hrsg.): Henning, Karl. In: Historisches Lexikon Wien. Band 3, Kremayr & Scheriau, Wien 1994, ISBN 3-218-00545-0, S. 143 (Digitalisat).


  17. UZH – Moulagenmuseum – Moulagen. In: moulagen.uzh.ch. Abgerufen am 8. April 2014. 




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