Kriminalität
Der Begriff der Kriminalität (von lat. crimen „Beschuldigung, Anklage, Schuld, Verbrechen“) orientiert sich im Wesentlichen an der juristischen Definition der Straftat. Während sich die „Straftat“ oder der materielle Verbrechensbegriff jedoch eher an dem individuellen Verhalten misst, werden mit „Kriminalität“ die Straftaten als Gesamtphänomen (Makrophänomen) bezeichnet.
Inhaltsverzeichnis
1 Definition und Abgrenzung
2 Ätiologie
3 Praxis
4 Unterteilung nach Schwereeinschätzung
5 Begriff Massenkriminalität
6 Begriff Kleinkriminalität
7 Begriff Kavaliersdelikt
8 Begriff Schwerstkriminalität
9 Begriff Straßenkriminalität
10 Statistik
11 Die Rolle der Medien
12 Siehe auch
13 Literatur
14 Weblinks
15 Einzelnachweise
Definition und Abgrenzung |
Gemeint ist mit dem Begriff „Kriminalität“ nach herrschender Lehrmeinung nicht nur das von der Polizei als Straftat bewertete Verhalten, sondern sämtliche Rechtsverletzungen von strafrechtlichen Tatbeständen.
In der kritischen Kriminologie hingegen wird, entsprechend der angeführten Doppeldeutigkeit des lateinischen Begriffs: Beschuldigen-Verbrechen, unter „Kriminalität“ die Gesamtheit der Aktionen und Interaktionen zwischen den für Rechtsetzung und -durchsetzung zuständigen Institutionen einerseits und den für Rechtsbruch verantwortlichen und von Rechtserleidung betroffenen Individuen andererseits verstanden (siehe auch Etikettierungsansatz).
Kriminalität allerdings nur als Straftatbestand zu definieren, bagatellisiert diese zu einer Auseinandersetzung Einzelner mit dem Staat. Als Kriminalität wird daher jede Form eines Übergriffs auf Rechtsgüter einer anderen Person bezeichnet. Kriminalität gilt somit als der entscheidende Gegenspieler für das harmonische Zusammenleben von Personen und ihrer Moral innerhalb und außerhalb einer Gruppe, einer Gesellschaft, eines Volkes oder zwischen den Völkern.
Im Kern zwar bestimmt, bietet die Definition diffuse Konturen; häufig werden Fahrlässigkeitsdelikte nicht als Kriminalität bezeichnet, da der Täter hier ohne Vorsatz und damit nicht a priori kriminell handelt.
Problematisch sind auch die Abgrenzungen zu den Begriffen „Delikt“, „Devianz“ oder „Delinquenz“, die teilweise synonym gebraucht werden, jedoch tatsächlich nicht kongruent sind.
Der Begriff des Delikts orientiert sich in der Regel an der Begrifflichkeit der Straftat und taucht insbesondere im Kontext des Jugendstrafrechts häufiger auf. Er ist von der zivilrechtlichen Auffassung des Deliktsrechts scharf zu unterscheiden. Zudem wird er nicht als wertfreier, sondern als Begriff mit „negativer Konnotation“ verstanden. Die „Delinquenz“ ist aus der amerikanischen Kriminologie in den deutschen Sprachraum eingedrungen. Entweder wird er als Gegenstück zum „Delikt“ (bei Jugendlichen) gebraucht oder als Gegenstück zur Hellfeldkriminalität, dann ist mit Delinquenz die Kriminalität im Dunkelfeld gemeint. Hellfeldkriminalität sind Straftaten, die durch öffentliche Kontrollorgane angezeigt werden, Dunkelfeldkriminalität ist Kriminalität, die nicht zur Anzeige gebracht wird (Dunkelziffer).
„Devianz“ schließlich ist nicht nur Kriminalität, sondern jedes normabweichende Verhalten. Sie schließt sowohl Ordnungswidrigkeiten als auch einfach unangepasstes soziales Verhalten ein.
Ätiologie |
Da es sich um ein schwerwiegendes gesellschaftliches Problem handelt, suchte die Kriminologie jahrzehntelang nach einer gemeinhin akzeptierten Erklärung der Ursachen von Kriminalität. Dass Kriminalität in allen Altersgruppen, allen Sozialsystemen und an allen Orten zu finden ist („Ubiquitätsthese“), ist eine Annahme der herrschenden Meinung. Kriminalität ist hiernach auch unabhängig vom politischen System zu finden. Auch wenn in der Frühzeit der DDR die Kriminalität als bürgerliches Überbleibsel des vorsozialistischen Systems angesehen wurde, war auch in den späten 1980er Jahren Kriminalität in jedem sozialistischen Staat zu finden.
Sowohl individuelle als auch Faktoren der Umgebung (z. B. die Anlage-Umwelt-Auffassung) werden herangezogen. Wirklich durchsetzen konnte sich bisher keine der vielen Theorien; sämtliche Theorien sind letztendlich inadäquat.
Praxis |
Während die Kriminologie nach Erklärungsansätzen sucht, bedient sich die Kriminalistik als Hilfswissenschaft technischer („forensischer“) Methoden zur Kriminalitätsbekämpfung (nicht Prävention!), das ist die Aufklärung von Straftaten. Mit den Aufgaben der Aufklärung sind in Deutschland die Staatsanwaltschaften und deren Ermittlungsbeamte (vor allem Polizeivollzugsbeamte) aufgerufen. Neben den üblichen Methoden wird das Feld der Aufklärung immer stärker durch die Sachverständigen, nämlich Chemiker, Biologen, Physiker, Ingenieure, Psychologen und Mediziner geprägt, da nicht mehr nur allein durch die Auswertung von Zeugenaussagen die Aufklärung bewältigt werden kann, sondern umfangreiche Spurensicherungen Experten zur Auswertung benötigen.
Insofern zeigt sich, dass der technische Fortschritt zunächst Kennzeichen der Kriminalität sind, später die Strafverfolgungsbehörden sich dem anpassen. Mit den revolutionären Entdeckungen der Daktyloskopie und der PCR für die DNA-Analyse brach jeweils eine Euphorie aus, dass in Zukunft Kriminalität ausgelöscht werden würde, weil die Aufklärungsquoten auf 100 Prozent steigen würden. Diese Euphorien wurden stets enttäuscht.
Unterteilung nach Schwereeinschätzung |
Unterteilungen nach Schwereeinschätzung sind in Deutschland in der Reihenfolge leicht bis schwer: Bagatelldelikte, leichte Kriminalität, mittlere Kriminalität, Schwerkriminalität und Schwerstkriminalität.[1]
Begriff Massenkriminalität |
Oft wird der Begriff Massenkriminalität benutzt. Der Begriff ist wissenschaftlich umstritten, er sollte besser mit Alltagskriminalität bezeichnet werden. Mit Massenkriminalität bezeichnet man die statistisch am häufigsten vorkommenden Deliktfälle bei denen von der organisierten Kriminalität und der Schwerkriminalität / Gewaltkriminalität abgegrenzt wird.
Es ist kennzeichnend, dass diese Straftaten sehr häufig auftreten und bei den Tätern eher als Bagatelle empfunden werden.
Dazu zählen vor allem:
- Sachbeschädigung
Diebstahl (Fahrräder, Ladendiebstahl)
Leistungserschleichung (z. B. Beförderungserschleichung, Stromdiebstahl, Versicherungsbetrug)
Begriff Kleinkriminalität |
Der Begriff Kleinkriminalität wird im allgemeinen Sprachgebrauch für eine minder schwere Form der Kriminalität benutzt. Der sogenannte Kleinkriminelle begeht also rechtlich weniger schwerwiegende Delikte, eben „Bagatelldelikte“. Als Beispiele können Urheberrechtsverletzungen gelten.
Begriff Kavaliersdelikt |
Der Begriff Kavaliersdelikt wird für strafbare oder ordnungswidrige Handlungen, die von der Gesellschaft als nicht ehrenrührig oder verwerflich angesehen werden, benutzt. Als Kavaliersdelikte werden häufig zu schnelles Fahren im Straßenverkehr, Fahren über die rote Ampel, Anfertigen von Schwarzkopien, Steuerhinterziehung und Schwarzfahren angesehen.
Begriff Schwerstkriminalität |
Schwerstkriminalität ist in Deutschland ein unbestimmter Begriff. In der Regel werden damit solche Straftaten bezeichnet, die in § 100a Strafprozessordnung (StPO) aufgeführt sind.
Begriff Straßenkriminalität |
Straßenkriminalität umfasst alle Straftaten mit Tatort öffentliche Wegen, Straßen oder Plätzen oder einen wichtigen Bezug hierzu aufweisen, z. B. Taschendiebstahl.
Statistik |
Das größte Problem in der Statistik ist die Messung von Hellfeld und Dunkelfeld. So kann sich das Anzeigeverhalten der Bevölkerung oder die Verfolgungsintensität der Polizei verändern, ohne dass eine Änderung des Umfangs der tatsächlichen Kriminalität damit verbunden sein muss.[2][3] Die Auswertung des Hellfeldes, das nur einen Ausschnitt der Kriminalität (die polizeilich registrierte Kriminalität) ausmacht, ist unproblematisch und erfolgt in der Regel durch die Analyse der Polizeilichen Kriminalstatistik. Im Vergleich zum Dunkelfeld müsste aber die Bereitschaft ermittelt werden, Anzeige zu erstatten. Ferner gibt es Befragungen, Experimente oder Beobachtungen, die Rückschlüsse auf die mögliche Kriminalität im Bezugsgebiet erlauben. Diese werden dann, wenn die Erhebungen statistisch valide, repräsentativ und reliabel sind, hochgerechnet.
Ein Beispiel für den Unterschied zwischen statistischer Entwicklung der Kriminalität und wahrgenommer Entwicklung der Kriminalität ist der sogenannte "crime drop" - ein deutlicher Rückgang des polizeilich registrierten Verbrechens - in den 1990er Jahren, der in der Öffentlichkeit kaum bekannt ist.[4]
Die Rolle der Medien |
Die Berichterstattung und Kommentierung zum Thema Kriminalität spielt für die Massenmedien eine erhebliche Rolle. Strafbare Handlungen und der Verdacht mit Blick auf strafbare Taten mit den einschlägigen Ermittlungen und möglicherweise nachfolgenden Gerichtsverfahren sind ein zentraler Nachrichtenwert. Sie zählen traditionell zu den Themen, die Medien vorrangig beachten und die beim Publikum auf großes Interesse stoßen. Auch die Kommunikationswissenschaft beachtet diese Stoffe als eines ihrer Forschungsfelder seit langer Zeit sehr stark.
Siehe auch |
- Organisierte Kriminalität
- Ausländerkriminalität
- Clan-Kriminalität
- Frauenkriminalität
- Innere Sicherheit
- Jugendkriminalität
- Umweltkriminalität
- Wirtschaftskriminalität
Literatur |
- Karl Härter, Art. „Kriminalität“, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, 2. Auflage, hrsg. von Albrecht Cordes, Hans-Peter Haferkamp, Heiner Lück, Dieter Werkmüller, Ruth Schmidt-Wiegand, Christa Bertelsmeier-Kierst, Berlin 2013, Sp. 271–275.
- Philipp Henn und Gerhard Vowe: Facetten von Sicherheit und Unsicherheit. Welches Bild von Terrorismus, Kriminalität und Katastrophen zeigen die Medien? In: Medien & Kommunikationswissenschaft, 3/2015, S. 341–362.
Gefährliches Pflaster: Kriminalität im Römischen Reich. In: Marcus Reuter und Romina Schiavone (Herausgeber): Xantener Berichte, Band 21, Martin Müller, Verlag Philipp von Zabern, Mainz 2011, ISBN 978-3-8053-4393-0.- Michaela Maier, Karin Stengel und Joachim Marschall: Nachrichtenwerttheorie. Nomos, Baden-Baden 2010, ISBN 9783832-94266-3.
- Christian Laue: Evolution, Kultur und Kriminalität. Über den Beitrag der Evolutionstheorie zur Kriminologie. Springer-Verlag, Berlin/Heidelberg 2010, ISBN 978-3-642-12688-8, doi:10.1007/978-3-642-12689-5. eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche
- Hans-Dieter Schwind: Kriminologie. Kriminalistik-Verlag, Heidelberg 2007, ISBN 978-3-7832-0033-1.
- Michael Matheus, Sigrid Schmitt (Hrsg.): Kriminalität und Gesellschaft in Spätmittelalter und Neuzeit. (Mainzer Vorträge 8). Franz Steiner, Stuttgart 2005, ISBN 3-515-08281-6.
- Rolf Ackermann u.a.: Handbuch der Kriminalistik für Praxis und Ausbildung. Boorberg, Stuttgart 2003, ISBN 3-415-03121-7.
- Mary Gibson: Born to crime. Cesare Lombroso and the origins of biological criminology. Praeger, Westport, Conn. 2002, ISBN 0-275-97062-0.
- Werner Riess: Apuleius und die Räuber. Ein Beitrag zur historischen Kriminalitätsforschung, Heidelberger Althistorische Beiträge und Epigraphische Studien (HABES). Band 35. Stuttgart 2001, ISBN 978-3-515-07826-9.
- Helga Cremer-Schäfer, Heinz Steinert: Straflust und Repression. Zur Kritik der populistischen Kriminologie. Verlag Westfälisches Dampfboot, Münster 1998, ISBN 3-89691-431-6.
- Siegward Roth: Die Kriminalität der Braven. C. H. Beck, München 1991, ISBN 3-406-34023-7.
Winfried Schulz: Die Konstruktion von Realität in den Nachrichtenmedien. Alber, Freiburg und München 1976, ISBN 3-495-47331-9.
Hans Haferkamp: Kriminalität ist normal. Zur gesellschaftlichen Produktion abweichenden Verhaltens. Ferdinand Enke Verlag, Stuttgart 1972, ISBN 3-432-01787-1.
Weblinks |
Wiktionary: Kriminalität – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
Wikisource: Kriminalitätsgeschichte – Quellen und Volltexte
Commons: Kriminalität – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Journascience.org (JSO). Sozialwissenschaftliches Informationsportal für Journalisten zum Thema Kriminalität
[1] von Valentin Landmann, Die Weltwoche 10/06
Konstanzer Inventar Kriminalitätsentwicklung. Kriminologische und kriminalstatistische Informationen zur Struktur und Entwicklung der registrierten Kriminalität und der Sanktionspraxis in Deutschland Kriminalstatistik, Kriminologische Links; Universität Konstanz
Telepolis: Das Böse ist immer und überall – Warum wir eine Zunahme der Kriminalität sehen, wo keine ist
Einzelnachweise |
↑ Kriminalistik, 62. Jahrgang, Ausg. 10/2008 Horst Clages: Übungsaufgabe mit Lösung Kriminologie/Kriminalistik, Schwerpunkte: Gewaltkriminalität, Raub, Tötungsdelikt, fremdenfeindliche Gewalt, Jugendkriminalität, S. 589–592
↑ Florian Gathmann: So kriminell ist Deutschland. In: Der Spiegel vom 22. Mai 2008
↑ Henning Ernst Müller: Die ewig falsch verstandene „Polizeiliche Kriminalstatistik“. Kommentar vom 22. Mai 2008
↑ Michael Tonry, Why Crime Rates Are Falling Throughout the Western World, 43 Crime & Just. 1 (2014), available at http://scholarship.law.umn.edu/faculty_articles/511.
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