Vertrag von Saint-Germain










Die territoriale Aufteilung Österreich-Ungarns nach dem Ersten Weltkrieg





Staatsgesetzblatt für die Republik Österreich vom 21. Juli 1920: Verkündung des Vertrages von Saint-Germain-en-Laye


Der Vertrag von Saint-Germain (vollständig: Staatsvertrag von Saint-Germain-en-Laye) regelte nach dem Ersten Weltkrieg die Auflösung der österreichischen Reichshälfte (die im Reichsrat vertretenen Königreiche und Länder) Österreich-Ungarns und die Bedingungen für die neue Republik Deutschösterreich. Der Vertrag von Trianon regelte die Situation Ungarns, des anderen Teilstaates der vormaligen Doppelmonarchie. Der am 2. September 1919 den österreichischen Delegierten übergebene Vertrag wurde am 10. September 1919 im Schloss Saint-Germain-en-Laye unterzeichnet.


Der Vertrag ist einer der Pariser Vorortverträge, die den Ersten Weltkrieg formal beendeten, und wurde zwischen Österreich und 27 alliierten und assoziierten Mitgliedern abgeschlossen. Zu den Signatarmächten zählten neben Österreich die USA, Großbritannien (mit seinen Dominions Irland, Kanada, Australien, Neuseeland und Indien), Frankreich, Italien und Japan sowie Belgien, Bolivien, Brasilien, China, Kuba, Ecuador, Griechenland, Guatemala, Haiti, Hedschas, Honduras, Liberia, Nicaragua, Panama, Peru, Polen, Portugal, Rumänien, der serbisch-kroatisch-slowenische Staat, Siam, die Tschechoslowakei und Uruguay. Es waren dies die Gründungsmitglieder des Völkerbundes.


Im Mai 1919 reiste eine österreichische Delegation unter der Leitung von Karl Renner nach Saint-Germain-en-Laye. Eine direkte Teilnahme an den Gesprächen wurde ihr verweigert, sie konnte lediglich schriftliche Vorschläge unterbreiten.[1]
Österreich und seine Verbündeten wurden als Urheber der Verluste und Schäden der Alliierten bezeichnet und es wurde ihnen die Alleinschuld am Krieg zugewiesen.




Inhaltsverzeichnis






  • 1 Bestimmungen


  • 2 Protest


  • 3 Originaldokument


  • 4 Gedenken


  • 5 Siehe auch


  • 6 Literatur


  • 7 Weblinks


  • 8 Einzelnachweise





Bestimmungen |


Die wichtigsten Bestimmungen der 381 Artikel des Vertrages von Saint-Germain sind:




  • Böhmen, Mähren, Österreichisch-Schlesien und einige Gemeinden Niederösterreichs (u. a. Feldsberg, der Bahnhof Gmünd und andere Gemeinden) gehen an die neu gegründete Tschechoslowakei, das Selbstbestimmungsrecht der deutschsprachigen Bevölkerung im Sudetenland (Deutschböhmen und Deutschmährer), die im Oktober 1918 die eigenständige Provinzen Deutschböhmen und Sudetenland gegründet hatten, findet dabei keine Berücksichtigung.


  • Galizien geht an Polen.


  • Südtirol, Welschtirol und das Kanaltal gehen an Italien.[2]


  • Istrien geht an Italien.

  • Die Bukowina geht an Rumänien.


  • Dalmatien, Krain, Teile der Untersteiermark sowie das Kärntner Mießtal und das Seeland gehen an das neue Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen.

  • Über Südkärnten ist eine Volksabstimmung darüber, ob es künftig zu Österreich oder zu Jugoslawien gehören möchte, durchzuführen.

  • Deutsch-Westungarn geht an Österreich und erhält den Namen Burgenland (der Name rührt von den vier Komitaten Wieselburg, Eisenburg, Ödenburg und Pressburg her, aus deren Teilen das Burgenland gebildet wird).

  • Die Verwendung von „Deutschösterreich“ als Staatsname wird verboten.


  • Österreich erhält ein Anschlussverbot gegenüber dem Deutschen Reich ausgesprochen.

  • Österreich und die Tschechoslowakei[3] werden zu Reparationszahlungen verpflichtet.

  • Eine allgemeine Wehrpflicht wird verboten. Es wird nur ein Berufsheer von 30.000 Mann erlaubt. Rüstungsfabriken und Waffen müssen zerstört werden.

  • Die Gründung des Völkerbunds und der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), beides Schritte, welche den Vertrag bzw. die gesamten Pariser Vorortverträge von vorhergehenden Friedensverträgen deutlich unterscheiden.


Nach Abtrennung dieser Gebiete blieb von Österreich (Cisleithanien) ein Reststaat von etwa 6,5 Millionen Einwohnern. Ungarn wurden ähnlich wie Österreich harte Bedingungen und Reparationen auferlegt. Sinngemäß entsprach der Vertrag von Saint-Germain dem Versailler Vertrag.


Der Vertrag von Saint-Germain trat am 16. Juli 1920 förmlich in Kraft und bestätigte die Auflösung Österreich-Ungarns auch völkerrechtlich.



Protest |


Die Konstituierende Nationalversammlung protestierte am 6. September öffentlich gegen den Vertrag, der dem deutschösterreichischen Volk das Selbstbestimmungsrecht und den „Herzenswunsch“, die „wirtschaftliche, kulturelle und politische Lebensnotwendigkeit“ verweigere: die „Vereinigung mit dem deutschen Mutterlande“.[4]
Man hoffe auf eine zukünftig mögliche Vereinigung, das Recht auf Einheit und Freiheit der Nation; 3,5 Millionen Deutschösterreichern werde nun eine „Fremdherrschaft“ auferlegt. Die Verantwortung für die zukünftigen Wirren liege bei dem „Gewissen jener Mächte, die trotz der Warnungen den Vertrag vollziehen werden“. Die wirtschaftlichen und finanziellen Bedingungen seien „undurchführbar“ und „politisch verhängnisvoll“.



Originaldokument |


Anlässlich des 90-jährigen Jubiläums der Republik Österreich hätte das Original des Vertrags von Saint-Germain in Wien ausgestellt werden sollen. Die nach der Unterzeichnung in Frankreich aufbewahrten Originale konnten in den französischen Archiven aber nicht mehr aufgefunden werden. Im Zweiten Weltkrieg war der Vertrag nach Berlin gebracht und dort ausgestellt worden. Wahrscheinlich wurde er bei einem Bombenangriff zerstört.[5]



Gedenken |


Seit 2018 besteht der Wanderweg Grenzlandgalerie zwischen Österreich und Slowenien.



Siehe auch |


  • Volksabstimmungen infolge des Vertrags von Saint-Germain


Literatur |



  • Isabella Ackerl, Rudolf Neck (Hrsg.): Saint-Germain 1919. Protokoll des Symposiums am 29. und 30. Mai 1979 in Wien. Verlag für Geschichte und Politik, Wien 1989, ISBN 3-7028-0276-2. 


  • Fritz Fellner: Vom Dreibund zum Völkerbund. Studien zur Geschichte der internationalen Beziehungen 1882–1919. R. Oldenbourg Verlag, München 1994, ISBN 3-486-56091-3. 


  • Lajos Kerekes: Von St. Germain bis Genf. Österreich und seine Nachbarn 1918–1922. Akadémiai Kiadó, Budapest 1979, ISBN 963-05-1373-0. 


  • Jörn Leonhard: Der überforderte Frieden. Versailles und die Welt 1918-1923. Verlag C.H. Beck, München 2018, ISBN 978-3406725067.


  • Margaret MacMillan: Die Friedensmacher. Wie der Versailler Vertrag die Welt veränderte. Propyläen, Berlin 2015, ISBN 978-3-549-07459-6. 


  • Carlo Moos: Die deutschösterreichische Friedensdelegation und der Staatsvertrag von St. Germain, in: ders., Habsburg post mortem. Wien u. a. 2016. S. 23–44.


Weblinks |



 Commons: Vertrag von Saint-Germain – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien


 Wikisource: Staatsvertrag von Saint-Germain-en-Laye – Quellen und Volltexte

  • Unterzeichnung des Vertrages St. Germain in der österreichischen Presse (Österreichische Nationalbibliothek)


Einzelnachweise |




  1. Georg Wagner (Hrsg.): Österreich. Von der Staatsidee zum Nationalbewusstsein. Studien und Ansprachen, mit einem Bildteil zur Geschichte Österreichs. Verlag der Österreichischen Staatsdruckerei, Wien 1982, ISBN 3-7046-0017-2, S. 337.


  2. Carlo Moos: Südtirol im St. Germain-Kontext. In: Georg Grote, Hannes Obermair (Hrsg.): A Land on the Treshold. South Tyrolean Transformations, 1915–2015. Peter Lang, Oxford-Bern-New York 2017, ISBN 978-3-0343-2240-9, S. 27–39. 


  3. Manfred Alexander: Deutschland, Italien und die Tschechoslowakei in der Zwischenkriegszeit. In: Bohemia. Band 38, 1997, Nr. 1, S. 56–65, hier: S. 57 (Digitalisat).


  4. "Beschluss der Nationalversammlung" vom 6. September 1919, in: Bericht über die Tätigkeit der deutschösterreichischen Friedensdelegation in St-Germain-en-Laye. Band 2, S. 628–631.


  5. Vertrag von St. Germain verschwunden. In: ORF.at, 11. November 2008.


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