Beinhaus
Das Beinhaus, auch Ossarium oder Ossuarium (lateinisch os = Knochen), ist ein überdachter Raum, der zur Aufbewahrung von Gebeinen bestimmt ist. Der Begriff Karner, auch Gerner, Kärnter, mancherorts auch „Seelhaus“[1] und anders[2] genannt, bezeichnet eine auch als Beinhaus genutzte Kapelle. Mancherorts hat die Anlage zwei Ebenen, die obere als Andachtsraum, die untere als Beinkeller. Im Kanton Schwyz in der Zentralschweiz wird für eine Friedhofskapelle, die zugleich Aufbahrungsraum und Beinhaus ist, der Begriff Kerchel verwendet (wie der Kerchel von Schwyz oder jener von Muotathal).
Inhaltsverzeichnis
1 Herkunft und Baukunde
2 Beispiele
2.1 Österreich
2.2 Deutschland
2.3 Schweiz
2.4 Südtirol
2.5 Frankreich
2.6 Italien
2.7 Griechenland
2.8 Portugal
2.9 Tschechien
2.10 Bulgarien
3 Einzelnachweise
4 Literatur
5 Weblinks
Herkunft und Baukunde |
Im Judentum werden Knochenkästen aus Stein als Ossuar bezeichnet. Nachdem der Leichnam verwest war, wurden die zurückbleibenden Knochen gereinigt und in Ossuarien gelegt. Diese wurden zur Zeit des oberirdischen Begräbnisverbots in der Zeit bis um 1200 überwiegend in unterirdischen Katakomben aufgestellt, spielen jedoch seit dem Beginn der Erdbestattungen in dieser Religion keine Rolle mehr.
Die Anlage von Ossuarien hat verschiedene Gründe. Teils handelt es sich um Sammelstellen für die Gebeine aus Friedhöfen, auf denen Platz für weitere Bestattungen geschaffen werden musste, wozu bestehende Grabfelder neu belegt wurden (Umbettung der Gebeine) (Beispiel: Sant’Ariano in der Lagune von Venedig). Ein Zuwachs in der europäischen Bevölkerung machte die Einführung der Beinhäuser im 11. und 12. Jahrhundert notwendig. Es war nicht eine Änderung im theologischen Denken des Christentums, sondern „allein durch praktische Erfordernisse war dieser einschneidende Schritt notwendig geworden“.[3]
Vielfach steht das Beinhaus in Verbindung mit einer Friedhofskapelle. Speziell in dieser Form wird das Beinhaus Karner oder Gerner genannt, dies ist der im österreichischen Raum sowie in Bayern übliche Ausdruck. Hier stehen bedeutende Beinhäuser aus dem 12. Jahrhundert in Hartberg und Mistelbach sowie eines aus dem 13. Jahrhundert in Tulln oder die Magdalenenkapelle Hall in Tirol.
In Lothringen gibt es Beinhäuser beispielsweise in einer zum Friedhof offenen Krypta unter der Kirche von Vintrange und in Schorbach im Bitscher Land in einem Haus mit offenen, romanisch wirkenden Säulenarkaden vor dem Westportal der Kirche.
Häufig sind christliche Beinhäuser dem Erzengel Michael geweiht. Sie können zweistöckig erbaut oder später aufgestockt worden sein. Im oberen Raum befindet sich häufig eine Kapelle.
Um die Wende zum 20. Jahrhundert kamen Beinhäuser immer mehr außer Gebrauch. Viele wurden abgebrochen oder zweckentfremdet, einige als Gedenkstätten für Kriegsgefallene, als Leichenhallen oder Lagerschuppen umgenutzt. In manchen in der Stadt liegenden Klöstern ist wegen des knappen Raumes die Funktion der Beinhäuser erhalten geblieben.
In vielen Gegenden Griechenlands finden sich Beinhäuser auf den Friedhöfen. Dort werden die Gebeine nach einer regional unterschiedlichen Zeit (20 bis 40 Jahre) in einem kirchlichen Ritus exhumiert und in das Beinhaus verbracht, um Platz für neue Bestattungsstellen zu schaffen.
Beispiele |
Österreich |
Die vorherrschende Bezeichnung ist Karner und mitunter Beinhaus.
- Niederösterreich: Bad Deutsch-Altenburg, Burgschleinitz, Eggenburg, Friedersbach, Hainburg, Mistelbach, Mödling, Pottenstein (Doppelkarner), Pulkau, Tulln an der Donau, Wiener Neustadt, Zellerndorf, Zwettl
- Oberösterreich: Enns, Hallstatt (mit der größten Schädelsammlung Europas[4]), Mauthausen
- Kärnten: In Kärnten sind etwa 50 Karner erhalten,[5] wie in Ossiach, Friesach, Maria Saal, Metnitz, Moosburg, Rechberg, Villach, Deutsch-Griffen
- Salzburg: Hallein
- Steiermark: Karner Hartberg, Sankt Lambrecht
- Vorarlberg: Ludesch
- Tirol: Elbigenalp im Lechtal in der Martins- bzw. Magdalenenkapelle
Deutschland |
Die vorherrschende Bezeichnung außer in Bayern ist hier Beinhaus.
- Baden-Württemberg: St. Georg in Gutach-Bleibach, St. Michael in Schwäbisch Hall (unter dem Chor), St. Michael neben der Pfarrkirche St. Gallus in Ladenburg
- Bayern (Beinhäuser und Karner sowie Kärnter): Aholfing, Allersburg, Altomünster, Arresting, Baldersheim (Aub), Breitenbrunn, Beratzhausen, Chammünster, Dingolfing, Marzoll, Perschen, Rottendorf, Roding: Josephikapelle mit Annakapelle, Sinzing, Großschönbrunn, Greding, Geltendorf-Walleshausen, Hemau, Landsberg am Lech, Neustadt an der Aisch, Pfaffenhofen bei Kastl, Rain, Staubing bei Weltenburg, Schorndorf, Reicholzried, Waischenfeld, Iphofen
- Hamburg: Unter dem Altar der St.-Josephs-Kirche
- Hessen: Beinhaus neben der lutherischen Pfarrkirche St. Marien in Marburg, Michaeliskapelle in Wetzlar, St. Michael neben der Pfarrkirche (Kapellenkarner) in Kiedrich, Michaelskirche in Fulda (Krypta ursprünglich als Beinhaus verwendet), St. Michael (Limburg an der Lahn), Untergeschoss der Michaelskapelle an der Stiftskirche in Limburg-Dietkirchen, Untergeschoss der Michaelskapelle in Butzbach, Beinhaus (Alsfeld)
- Rheinland-Pfalz: Michaelskapelle in Alken an der Mosel (noch gefüllt), Michaelskapelle neben der Liebfrauenkirche in Koblenz (umgebaut), Michaelskapelle neben der Katharinenkirche in Oppenheim, Karden an der Mosel, Beinhaus in Deidesheim, unter St. Peter und Paul in Westhofen
- Als Variante sind am Mittelrhein kleinere romanische Kirchen zu beobachten, deren Altarraum erhöht wurde, um darunter einen Raum zu schaffen, der wahrscheinlich als Beinhaus Verwendung fand. Nachzuweisen ist diese Form in der alten Kirche St. Servatius in Koblenz-Güls, in St. Laurentius in Koblenz-Moselweiß (Raum im Barock entfernt) und in St. Johannis in Niederlahnstein (Raum rekonstruiert).
- Mecklenburg-Vorpommern:Beinhaus (Bad Doberan), Kloster Doberan (frühgotisches Beinhaus)
- Niedersachsen: Knochenturm in Einbeck, Gebeinkapelle im Rathaus in Goslar
- Nordrhein-Westfalen: St. Ursula („goldene Kammer“)
Schweiz |
Die Bezeichnung ist vorwiegend Beinhaus.
- Graubünden: Kirche St. Peter Mistail in Alvaschein, Falera, Poschiavo
- Zentralschweiz und Schweizer Mittelland: Baar ZG, Emmetten, Ettiswil, Hasle LU, Schlachtkapelle Sempach, Steinen (Kanton Schwyz), Wolhusen, Zug (Stadt), Sursee, Gränichen, Deitingen, Stans
- Nordwestschweiz: St. Jakob an der Birs in Basel, Beinhaus bei der Wehrkirche St. Arbogast in Muttenz, Rümlingen, Frick
- Ostschweiz: Liebfrauenkapelle bei der Stadtpfarrkirche St. Johann in Rapperswil SG (zweistöckiger gotischer Bau mit Kapelle), St. Peter und Paul auf der Insel Ufenau, Ritterhaus Bubikon, Bubikon ZH
- Romandie: Montreux
- Tessin: Coglio, Gordevio, Astano
- Wallis: Leuk, Naters
Südtirol |
In Südtirol sind die Begriffe Karner und Beinhaus, sowie das italienisch geprägte Ossario im Einsatz.
- St. Johann im Ahrntal, Sand in Taufers
Frankreich |
Das französische Wort für Beinhaus ist Ossuaire.
- Elsass: Dambach-la-Ville Kapelle St. Sebastian mit Beinhaus, Margaretenkapelle Epfig (einfacher Bau des 11. Jh. Ein Karner an der Nordseite bildet die Verlängerung der Vorhalle. Im Okulus datiert 1601)
- Île-de-France: Beinhaus der Pfarrkirche Saint-Séverin, Beinhaus des Père-Lachaise Friedhofes, Beinhaus der Katakomben
- Lothringen: Beinhaus von Douaumont bei Verdun, Marville, Vintrange, romanisches Beinhaus von Schorbach aus der Mitte des 12. Jahrhunderts
- Normandie: Rouen, Pestbeinhaus
Italien |
In Italien ist der Begriff Ossario üblich.
- Insel Sant’Ariano in der Lagune von Venedig
Santa Maria Immacolata a Via Veneto in Rom
Ossario Santa Maria della Neve bei Melegnano
- Innichen
Griechenland |
- Fourni (Kreta)
Portugal |
- Igreja Matriz in Alcantarilha
- Igreja de São Francisco in Évora
- Igreja do Carmo in Faro
Tschechien |
Sedletz-Ossarium in Kutná Hora
- Beinhaus in Mělník
- Beinhaus in Kolin
- Beinhaus in Sankt Maurenzen
Bulgarien |
- Beinhaus in Balgarowo
- Beinhaus in Batak
- Beinhaus im Schipkadenkmal
Einzelnachweise |
↑ Max Döllner: Entwicklungsgeschichte der Stadt Neustadt an der Aisch bis 1933. 1950; 2. Auflage, Ph. C. W. Schmidt, Neustadt an der Aisch 1978, ISBN 3-87707-013-2, S. 88.
↑ rdklabor: Beinhaus.
↑ Reiner Sörries: Der mittelalterliche Friedhof. In: Norbert Fischer (Hrsg.): Raum für Tote. Die Geschichte der Friedhöfe von den Gräberstraßen der Römerzeit bis zur anonymen Bestattung. 2003, ISBN 3-87815-174-8, S. 38.
↑ Eintrag zu Das Beinhaus von Hallstatt im Austria-Forum (im Heimatlexikon) abgerufen am 4. Januar 2011.
↑ Ilse Spielvogel-Bodo: Der Ossiacher See zwischen gestern und heute. Geschichte, Kunst, Landeskunde. 2. Auflage. Kärntner Druck- und Verlagsgesellschaft, Klagenfurt 1998, ISBN 3-85391-149-8, S. 51.
Literatur |
- Wolfgang Westerhoff: Karner in Österreich und Südtirol. Niederösterreichisches Pressehaus, St. Pölten/ Wien 1989, ISBN 3-85326-891-9.
- Reiner Sörries: Zur Architekturgeschichte der Karner in Kärnten. In: Friedhof und Denkmal. Jahrgang 38, 2/1993 Arbeitsgemeinschaft Friedhof und Denkmal Kassel, S. 25–37.
- Jörg Scheidt: Das Beinhaus von Oppenheim. In: Oppenheimer Hefte. 40, Oppenheim 2011, S. 17–41.
Weblinks |
Commons: Beinhäuser – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wiktionary: Beinhaus – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
Wiktionary: Ossarium – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
Wiktionary: Ossuarium – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
- Kurt Scheuerer: Karner in der Oberpfalz.
Einzelne Karner:
- Naters, Schweiz
Schorbach, Frankreich (französisch)- Waischenfeld (Oberpf.), Deutschland
- Das Beinhaus von Leuk