Genom






Der Chromosomensatz eines Mannes als Karyogramm dargestellt


Das Genom, auch Erbgut eines Lebewesens oder eines Virus, ist die Gesamtheit der materiellen Träger der vererbbaren Informationen einer Zelle oder eines Viruspartikels: Chromosomen, Desoxyribonukleinsäure (DNS = DNA) oder Ribonukleinsäure (RNS = RNA) bei RNA-Viren, bei denen RNA anstelle von DNA als Informationsträger dient. Im abstrakten Sinn versteht man darunter auch die Gesamtheit der vererbbaren Informationen (Gene) eines Individuums.


Die Bezeichnung Genom wurde, nach der durch Thomas Hunt Morgan gelungenen Verknüpfung[1] der Chromosomentheorie der Vererbung mit der durch Wilhelm Johannsen aufgestellten Hypothese von Genen als Erbeinheiten, 1920 von Hans Winkler geprägt. Das Teilgebiet der Genetik, das sich mit der Erforschung des Aufbaus von Genomen und der Wechselwirkungen zwischen Genen befasst, wird als Genomik (englisch genomics) bezeichnet.[2]




Inhaltsverzeichnis






  • 1 Grundlagen


  • 2 Organisation von Genomen


    • 2.1 Eukaryoten


    • 2.2 Prokaryoten


    • 2.3 Organellen


    • 2.4 Viren




  • 3 Genomgrößen


  • 4 Sequenzierte Genome


  • 5 Siehe auch


  • 6 Literatur


  • 7 Weblinks


  • 8 Einzelnachweise





Grundlagen |


Die für die Vererbung von Eigenschaften und Merkmalen erforderliche und auf der Ebene der Zellen und der Individuen weitergegebene Information ist in der DNA enthalten, und zwar in der Sequenz (Abfolge) der DNA-Basen Adenin (A), Guanin (G), Cytosin (C) und Thymin (T). Ribonukleinsäuren verwenden an Stelle des Thymins die Base Uracil (U). Jeweils drei aufeinanderfolgende Basen bedeuten nach der Regel des genetischen Codes eine Aminosäure.


Man unterscheidet codierende und nichtcodierende Abschnitte der DNA. Nach Maßgabe der Basensequenz der codierenden Abschnitte (Gene) werden im Zuge der Genexpression aus Aminosäuren Proteine gebildet. Aber auch nichtcodierende Bereiche können wichtige Funktionen aufweisen, so etwa bei der Genregulation. Außerdem gibt es die sogenannten Pseudogene: durch Mutationen funktionslos gewordene und vom Organismus nicht mehr abgelesene Gene.


Die meisten Organismen besitzen neben der chromosomalen DNA des Zellkerns (deswegen auch Karyom genannt) weiteres genetisches Material in anderen Zellteilen. Bei diesen Eukaryoten (Tiere, Pflanzen, Pilze und Protisten) haben die Mitochondrien, bei Pflanzen und Algen des Weiteren die Plastiden, eigene kleine Genome. Prokaryoten (Bakterien und Archaeen) enthalten vielfach zusätzliche, relativ kurze, in sich geschlossene DNA-Moleküle, die als Plasmide bezeichnet werden.



Organisation von Genomen |



Eukaryoten |


Bei den Eukaryoten besteht das Kern-Genom (Karyom) aus mehreren bis zahlreichen strangförmigen Chromosomen. Die Anzahl der Chromosomen ist artspezifisch verschieden und kann zwischen zwei (beim Pferdespulwurm) und mehreren hundert (bei manchen Farnen) variieren. Außerdem ändert sich die Chromosomenzahl beim Wechsel der Kernphase (Meiose und Karyogamie). Charakteristisch für eukaryotische Genome ist weiterhin ein hoher Anteil an nichtcodierender DNA (beim Menschen etwa 95 %) und die Intron-Exon-Struktur der Gene.



Prokaryoten |


Bei den Prokaryoten liegt die DNA als langes, in sich geschlossenes Molekül vor. Daneben können kürzere, ebenfalls in sich geschlossene DNA-Moleküle, sogenannte Plasmide, in variabler Anzahl vorhanden sein. Diese können unabhängig von der Haupt-DNA vervielfältigt und an andere Prokaryotenzellen weitergegeben werden (Konjugation), auch über Artgrenzen hinweg. Sie enthalten in der Regel nur wenige Gene, die zum Beispiel Resistenzen gegen Antibiotika vermitteln.


Prokaryotische Genome sind im Allgemeinen wesentlich kleiner als eukaryotische. Sie enthalten relativ geringe nichtcodierende Anteile (5–20 %) und auch nur wenige oder gar keine Introns.



Organellen |


Die Genome der Mitochondrien und Plastiden sind wie prokaryotische Genome organisiert (vgl. Endosymbiontentheorie). Sie enthalten jedoch nur einen geringen Teil der für die Funktion dieser Organellen benötigten Gene, weshalb diese Organellen als „semi-autonom“ bezeichnet werden.



Viren |


Virale Genome sind sehr klein, da in ihnen nur recht wenige Proteine codiert sind und die genetische Information zudem hochgradig verdichtet ist, indem etwa verschiedene Gene überlappen oder manche Abschnitte zugleich in beiden Leserichtungen als Gene fungieren können. Sie können aus DNA oder RNA bestehen, und diese können einzel- oder doppelsträngig sowie linear, zirkulär oder segmentiert vorliegen. Eine Besonderheit stellen die Retroviren dar, deren RNA-Genom mittels reverser Transkription in DNA „übersetzt“ und in das Wirtsgenom integriert werden kann. Die Eigenschaften der Genome der Viren sind wichtige Kriterien bei deren Einteilung (Virus-Taxonomie).



Genomgrößen |



Als Genomgröße wird die in einem Genom vorhandene Menge an DNA bezeichnet. Bei Eukaryoten bezieht sich diese Angabe gewöhnlich auf den haploiden Chromosomensatz, dies wird auch als C-Wert bezeichnet. Es wird entweder die Anzahl der vorhandenen Basenpaare (bp) oder die Masse der DNA in der Einheit pg (Pikogramm) angegeben. 1 pg doppelsträngiger DNA besteht aus etwa 0,978·109 bp, also aus knapp einer Milliarde Basenpaaren. Üblich sind auch die Bezeichnungen Kilo-Basenpaar (kbp oder kb) für 1.000 Basenpaare und Mega-Basenpaar (Mbp oder Mb) für eine Million Basenpaare.


Nach neueren Untersuchungen besitzt der Südamerikanische Lungenfisch (Lepidosiren paradoxa) mit 80 pg (7,84 × 1010 bp) das größte bisher bekannte tierische Genom.[3] Ältere, aber wohl ungenauere Untersuchungen zeigen mit etwa 133 pg noch größere Genome, die ebenfalls bei Lungenfischen, allerdings bei der afrikanischen Art Äthiopischer Lungenfisch (Protopterus aethiopicus) gefunden wurden.[4] Mit 0,04 pg (weniger als 50 Millionen Basenpaare) besitzt das zum primitiven Tierstamm Placozoa gehörende, auf Algen lebende, etwa 2 mm große, wenig differenzierte Trichoplax adhaerens das kleinste bisher bekannte tierische Genom.[4] Die Zahl der Basenpaare des Darmbakteriums Escherichia coli ist nur um einen Faktor 10 kleiner. Das kleinste bisher quantifizierte bakterielle Genom besitzt der Blattfloh-Endosymbiont Carsonella ruddii: Sein zirkuläres DNA-Molekül enthält nur knapp 160.000 Basenpaare, in denen sämtliche Informationen gespeichert sind, die er zum Leben braucht.[5]










































































































Beispiele für Genomgrößen
Organismus
Genomgröße1
Gene
Gendichte2

HIV[6]
9.700

Bakteriophage Lambda (Virus)
50.000

Carsonella ruddii (Blattfloh-Endosymbiont)
160.000 182 1.138

Escherichia coli (Darmbakterium)
4.600.000 4.500 900

Backhefe Saccharomyces cerevisiae
13.000.000 6.000 300

Trichoplax adhaerens (Plattentiere)
40.000.000 11.500 287,5

Caenorhabditis elegans (Fadenwurm)
80.000.000 19.000 200

Acker-Schmalwand Arabidopsis thaliana
100.000.000 25.500 255

Drosophila melanogaster (Taufliege)
200.000.000 13.500 70

Daphnia pulex (Wasserfloh)[7]
200.000.000 31.000 155

Kugelfisch Takifugu rubripes
365.000.000

Gemüsekohl Brassica oleracea
5,99–8,68 × 108
100.000 599–868

Mensch Homo sapiens
3,27 × 109
23.000 10

Teichmolch Triturus vulgaris
2,5 × 1010


Lungenfische Lepidosiren paradoxa
7,8 × 1010


 1in Basenpaaren  2Anzahl der Gene pro Millionen Basenpaare

Die DNA einer einzelnen menschlichen Zelle ist aneinandergereiht etwa 1,80 m lang.
Ein Basenpaar auf einem DNA-Strang hat theoretisch einen Informationsgehalt von 2 bit, da es 22 = 4 Zustände (A/T/G/C) annehmen kann. Mit etwa 3,27 Milliarden Basenpaaren hätte das Genom des Menschen demnach einen maximal möglichen Informationsgehalt von 6,54 Milliarden bit oder 780 MiB. Der tatsächliche Informationsgehalt liegt vermutlich deutlich darunter, da große Teile der DNA nichtcodierende Sequenzen aufweisen, die allerdings zumindest teilweise regulatorische Funktionen haben.[8]


Ein Vergleich der Genomgröße mit der Komplexität und dem Organisationsgrad des Organismus ergibt keinen klaren Zusammenhang.[9] So haben Schwanzlurche größere Genome als Reptilien, Vögel und Säugetiere. Lungenfische und Knorpelfische haben größere Genome als Echte Knochenfische, und innerhalb von Taxa wie den Blütenpflanzen oder Protozoen variiert die Genomgröße in hohem Maß. Dies wird als „C-Wert-Paradoxon“ bezeichnet. Die größte DNA-Menge weisen einfache Eukaryoten wie einige Amöben sowie die Urfarne mit rund einer Billion Basenpaaren auf. Diese Arten enthalten einzelne Gene als tausendfache Kopien und lange nicht proteincodierende Abschnitte.



Sequenzierte Genome |


Die DNA von Genomen verschiedener Organismen, die entweder für die medizinisch-pharmazeutische oder anwendungsorientierte Forschung oder auch für die Grundlagenforschung relevant sind, wurde annähernd vollständig „sequenziert“ (man spricht auch fälschlicherweise vom „Entschlüsseln“), das heißt, ihre Basensequenz wurde ermittelt (per DNA-Sequenzierung, teilweise nach einer Genomamplifikation). Die Basensequenzen werden über das Internet u. a. vom NCBI bereitgestellt.


Übersichten



  • Quick Guide to Sequenced Genomes (GNN) (exzellente Übersichtsseite, in alphabetischer Ordnung und hervorragend organisiert findet man bisher sequenzierte Organismen mit Abbildungen, Kurzinformationen, für die Sequenzierung verantwortliche Institution und relevante Literatur mit Links)

  • Genome Atlas


Einzelne Genome



  • Archaeen – Archaeen


  • Bakterien – Bakterien

    • Escherichia coli – Colibakterien



  • Eukaryoten – Eukaryoten


    • Homo sapiens – Mensch und bei hapmap.org


    • Felis catus – Hauskatze


    • Mus musculus – Hausmaus


    • Drosophila melanogaster – Taufliege


    • Arabidopsis thaliana – Ackerschmalwand


    • Oryza sativa – Reis


    • Physcomitrella patens – kleines Blasenmützenmoos[10]





Siehe auch |



  • DNA-Sequenzanalyse

  • Epigenetik

  • Genetik

  • Dotplot

  • Genetischer Code

  • Humangenomprojekt

  • mitochondriale DNA

  • Molekularbiologische Datenbanken



Literatur |




  • Ernst Peter Fischer: Das Genom. Fischer-Taschenbuch-Verlag, Frankfurt am Main 2002, ISBN 3-596-15362-X. 


  • Martin Mahner, Michael Kary: What Exactly Are Genomes, Genotypes and Phenotypes? And What About Phenomes? In: Journal of Theoretical Biology. Band 186, 1997, S. 55–63. PMID 9176637 doi:10.1006/jtbi.1996.0335


  • Ernst-Ludwig Winnacker: Das Genom. Möglichkeiten und Grenzen der Genforschung. Eichborn, 2002, ISBN 3-8218-3931-7. 



Weblinks |



 Commons: Genom – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien


 Wiktionary: Genom – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen


Einzelnachweise |




  1. Werner Sohn: Genom. In: Werner E. Gerabek, Bernhard D. Haage, Gundolf Keil, Wolfgang Wegner (Hrsg.): Enzyklopädie Medizingeschichte. De Gruyter, Berlin/ New York 2005, ISBN 3-11-015714-4, S. 475 f.; hier: S. 475.


  2. National Human Genome Research Institute: FAQ About Genetic and Genomic Science. Abgerufen am 9. Dezember 2013.


  3. A. E. Vinogradov: Genome size and chromatin condensation in vertebrates. In: Chromosoma. 113, 2005, S. 362–369.


  4. ab T. R. Gregory: Animal Genome Size Database. 2005.


  5. Petra Jacoby: Spektrum der Wissenschaft. Band 5, Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft, 2007, S. 16 f.


  6. BioNumber Details Page - Genome size of HIV-1 HXB2. auf: bionumbers.hms.harvard.edu


  7. Der Wasserfloh und seine rekordverdächtigen inneren Werte (Memento des Originals vom 5. September 2011 im Internet Archive) i Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.wissenschaft.de


  8. Information content of DNA bei Panda's Thumb


  9. Siehe etwa Molekulargenetik der Eukaryoten (Universität Mainz, PDF; 7,9 MB), S. 7.


  10. Daniel Lang, Andreas Zimmer, Stefan Rensing, Ralf Reski: Exploring plant biodiversity: the Physcomitrella genome and beyond. In: Trends in Plant Science. 13, 2008, S. 542–549. doi:10.1016/j.tplants.2008.07.002









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